Altes Dorfschulhaus Tjeerd Coehoorn, 2018.

Fred und Cécile Zimmermann - Stiftung

Kunst und Kultur im Alten Dorfschulhaus bei der Kirche in Wattenwil



Bruchstücke aus der Geschichte Wattenwils

1780    Pfarrbericht von 1780

Beantwortung der durch die Regierung vorgegebenen Fragen durch Pfarrer Daniel Rudolf de Loséa, Pfarrer in Wattenwil von 1763 bis 1781, früher Feldprediger beim Schweizergarderegiment in den Haag.

Original im Staatsarchiv Bern, Transkription: Hans Niederhauser

Das Dorf besteht aus drei Dritteln: dem Dorf, Mettlen und Rhein Drittel.

WohnhäuserHaushaltungenSeelen
  Dorf6375330
  Mettlen7286345
  Rhein7882333

Es hat allhier eigentlich keine Bauernhöfe. Die meisten haben ihre Besitzungen in der Gemeine zerstreut.

Bevölkerung: Die Anzahl der Gemein Angehörigen beläuft sich auf 1008, darunter sich 31 Hintersassen befinden.

Öffentlicher Gottesdienst:

Der Gottesdienst in den Morgenpredigten am Sonntag wird von dem grossen Theyl sehr fleissig gehalten. Die Kinderlehren am Nachmittag werden etwas weniger, aber doch noch ziemlich fleissig besucht. Das heilige Abendmahl versäumen wenige, vornehmlich auf die Weihnachten und Ostern. Einige wenige, die gänzlich den öffentlichen Gottesdienst versäumen, haben bisher mit keinem Lieb können gebessert werden.

In den Werktags Predigten giebt es noch allezeit Zuhörer, so dass in dem Lauf eines sechzehnjährigen Kirchendienstes vielleicht nicht zwanzigmal Gebete sind gesprochen worden. Es mag etwas dazu beytragen, dass die Morgen Predigten im Winter in dem Schulhause gehalten werden.

Die Examinas der alten werden am Montag und auch in dem Schulhause gehalten. Alle Sonntage im Winter wird im Schulhause von einem der zwey Schulmeisteren wechselweise Kinder Lehr gehalten über den Heidelbergischen Katechismus. Der Kirchen Gesang ist gut, wird nebst der vocal music mit Posaunen und Zinken geführt. Neue Psalmbücher sind wirklich sehr viele in der Gemeine, und werden jährlich mehrere angeschafft, so dass sie wirklich bei dem öffentlichen Gottesdienst und in den Schulen eingeführt sind. Die alten werden von den Kindern nicht mehr auswendig gelernt. Es ist eine recht lobliche Nacheiferung in Ansehen dieses Stück in der Gemeinde.

Schulen:

Ein jeglicher Schulmeister hat ungefähr 140 Kinder unter sich. Die Winterschulen nehmen ihren Anfang formittags um 9 Uhr und Nach Mittags um 1 Uhr. Sie sollen jedesmal nicht minder als 2 Stunden dauern. Die Sommerschul wird alle Sambstag des Vormittags gehalten.

Der Austritt aus den Schulen geschieht bei der Admission zum hl. Abendmahl. Vor der Zeit werden die Kinder im Buchstabieren, Lesen, Singen, Schreiben und Auswendiglernen des Heidelbergischen Catechismus und einer gewissen Anzahl Psalmen aus dem neuen Psalmen Buch geübt.

Das Singen wird von vielen, das Schreiben aber von wenigen gelernt. Die Anzahl derjenigen, welche Psalmen auswendig lernen ist beträchtlich genug. Wenn es immer möglich ist, so wird niemand zum heiligen Abendmahl admittiert, oder er könne leidentlich in dem Testament lesen.

Es wäre zu wünschen, dass die Schulen fleissiger besucht würden, aber wie machen? Da so viele Haushaltungen in der Gmeind arm sind, und eine so starke Seiden Spinnerei eingeführt ist. Auch die heranwachsenden Jünglinge schon zur beholzung gebraucht werden.

Die Schulmeister sind fleissig in ihrem Dienst und unanstössig in ihrem Wandel. Was ihre Fähigkeiten anbelangt, so mag sie hinlänglich seyn, ausgenommen in Absicht auf die catechisation. Darinnen wird alle Zeit Mangel seyn, weil sich niemand von Jugend auf zum Schuldienst widmet; und ich auch keinem Pfarrer rathen wollte, einen anderen als einen Gmeind Angehörigen zum Schuldienst zu erwählen.

Ein jeglicher Schulmeister hat zwölf Kronen Lohn, jährlich, nebst 40 Batzen (1 Neuthaler) Trinkgelt, und einer halben Jucharten Allment Heerd.

Pastoral Verrichtungen:

Man bedient sich mancherley Lehrarten sowohl in den Sonntags als Werktags Predigten. An den Werktagen sind ganze Bücher der H.(eiligen) Sch.(rift) paraphrastisch erklärt worden, auch einzelne Stücke aus unserem Religionssystem. Weil man beobachtet hat, dass an den paraphrastischen Abhandlungen am wenigsten Geschmack gefunden wird, so wird einige Zeit daher über vermischte Stellen gepredigt, sowohl aus der Dogmatic als Moral Theologie. An den Sonntagen ist man vornehmlich bedacht, herrschende Forurtheyle, falsche Begriffe, eitele Ausflüchte und nütige Beschönigung in Ansehen des Glaubens und des (Lebens-)Wandels zu bestryten. Es werden auch öfther Casual Predigten (mit anschaulichen Beispielen) gehalten, schicklich ins Besondere für Landleute.

Der Heidelbergische Catechismus wird gewöhnlich in den Kinderlehren in drey Jahren zu Ende gebracht, und in eben so viel Zeit in den Examinibus der alten.

Die Schulmeister erklären in ihren Catechisationen gemeinschaftlich mit dem Pfarrer kein anderes Buch als den H.(eidelberger) C.(atechismus). Bey der Catechisation in den Schulen antworten die älteren Schulkinder. Und in der Kirche die letztlich admittierten, von den neun letzten Jahren. Von welchen allemahl im Rodel abgelesen wird, damit der Pfarrer die fleissigen und unfleissigen besser kennen lerne. Von dem H.C. weicht man selten ab; ausgenommen an den Communiontagen.

Die Unterweisungen zum heil. Abendmahl werden die meiste Zeit nach der Martini Mess angefangen, und bis auf Ostern fortgesetzt. Drey Tage in der Woche sind dazu bestimmt, des Tages 1 Stunde. Die Anzahl der Catechisatoren beläuft sich im Durchschnitt von zehen Jahren etwa auf zwanzig. Alljährlich wird zuerst der H.C. catechetisch analysiert; hernach wird ein von mier aufgesetztes Religions System gebraucht, welches sich abgeschrieben in vielen Haushaltungen befindet. Viele Kinder schreiben es ab und lernen es auswendig, auch gehen oft einige Kinder zusammen um gemeinschaftlich darinne zu forschen. Niemand wird zum heil. Abendmahl admittiert, oder er habe die Unterweisung drey Jahre nach einander besucht.

Die Hochzeit:

Leute werden vor der Einsegnung etwa eine Stunde lang nebst einer Einleitung über die Stiftung Natur, und Absicht des Ehestandes in den vornehmsten Pflichten gegen einander, gegen die Kinder, gegen andere Menschen, und gegen Gott unterrichtet. Zu den Kranken wird der Pfarrer ziemlich fleissig berufen; meistens aber wird ihm ein Wink zur Besuchung gegeben durch die Bitte für den Kranken zu bätten. Sehr oft werden die Kranken ohne vorhergehende Aufforderung besucht.

Wegen der Nähe des Schulhauses werden die Schulen beynahe alle Wochen einmal besucht. Den jährlichen Schulexamen wohnen bey: der Amman, der Kilchenmeyer, und wer von den Vorgesetzten und Hausvättern auch will. Den Schulkindern werden prämiä ausgetheilt von einem halben Batzen bis auf sechs Kreuzer.

Die Hausbesuchungen werden entweder gelegentlich gemacht, oder den Herbst und Winter hindurch und alljährlich in einem der drey Drittel der Gemein. Nach Beschaffenheit der Haushaltungen wird etwa ein Chorrichter mitgenommen. Wenn es alle Zeit und an allen Orten geschehen sollte, so würde es sowohl dem Pfarrer als auch den Chorrichteren sehr unbequem fallen. Auch würde ein Pfarrer in seinen vertraulichen Gesprächen und in seinen Directorien durch die Gegenwart eines Vorgesetzten manchmal nur gehindert werden. Ich wüsste nicht, wie die Hausbesuchungen besser könnten eingerichtet werden. Es kommt viel auf die Beschaffenheit der Gemein an und auf die Musse des Pfarrers. Man muss öfter eine ganze halbe Stunde in einem einzigen Hause zubringen, wenn man offenherzig und leutselig sein will.

Secten:

Es gibt freylich Secten in der Gemeine:
a) Die Wirths Häuser und Bäder Sect.
b) Einige Überbleibsel der Brügler Sect.
c) Auch Spuren der Stadt und Herren Sect, oder der Freygeister.
d) Die zahlreichste ist eine gewisse ziemlich starke Sect. Ich weiss nicht, ob ich sie Mettodisten, sonst … (unleserlich) oder Herrenhut nennen soll. Gläublich ist es, dass sie etwas von beyden hat.

Es sind Erleuchtete, Heilige, Gotteskinder, die rechte apostolische Kirche. Sie reden viel von der Unsündlichkeit der Wiedergebohrenen, von der Gewissheit der Seligkeit. Es kommt aber auf den Glauben an.

Die Heiligung kommt von selbst, wenn man einen Baumstarken Glauben hat. Wachsamkeit und Fleiss von Seite des Menschen sind nicht so nöthig als das Gebeth. Lehrer und Prediger, wenn sie schon Evangelium predigen, fallen doch immer wieder auf das Gesetz. Ein eifriger Prediger kann wohl erwecken. Aber wenn man beschert werden will, so muss man zu ihnen kommen. Es scheint, viele darunter seyen Leute, die aus Grundsätzen ihrer Religion sich fürchten, gute Werke zu thun. Sie möchten sonst leicht eine eigene Gerechtigkeit aufrichten.

In drey oder vier Häusern werden Versammlungen gehalten. Sie bestehen mehr aus Weiberen denn als Männeren. Die Versammlungen waren im Anfang meines Dienstes sogar zahlreich. Jetzt aber nicht mehr, und machen weniger Aufsehen. Die Versammlungen werden an den Sonntagen gehalten, vornehmlich den Fest und heiligen Tagen, meist nach dem Gottesdienst. Ich habe aber Ursache zu glauben, ein paar Mahl im Jahr auch während dem öffentlichen Gottesdienst. Es kommen von Zeit zu Zeit einige aus andern Gemeinen hierher, und von hier aus gehen auch einige in andere Gemeinen. Von nächtlichen Zusammenkünften weiss ich nichts. Den öffentlichen Gottesdienst besuchen sie und einige von ihnen sogar fleissig.

Ausgenommen die Kinder Lehren und im Winter das allgemeine Gebet. Weilen als dann die Zeit ihrer Versammlungen anfängt, oder sie sich auf dem Weg dahin befinden. Das hl. Abendmahl halten sie auch, doch nicht alle so oft, als es von solchen Leuten zu erwarten ist. Man ist auch schon gezwungen gewesen, ein paar deshalb vor das Chorgericht zu beschicken. Ihre Burgerliche Aufführung ist stille und ehrbar. Sie sind starke Eiferer wider öffentliche Lustbarkeiten und das sogenannte Wesen der Weltkinder. Sie sollen aber gleichwohl die Gemächlichkeit lieben und sich etwas zu Gute thun.

Im übrigen mag man von ihnen sagen was von allen andern: L’homme est tant homme qu’il crève.

In dieser Gemeine ist allezeit ein starker Hang zum Sectierischen Wesen gefunden worden. Seit einigen Jahren hat dasselbige nicht zugenommen. Es giebt keine gar berühmte Lehrer, obschon sich hie und da einige von andern Orten, selbst von Bern einfinden. Es ist aber nicht tauglich, alsbald Lerm zu machen. Gleichwohl wünsche ich dass die obrigkeitlichen Verordnungen wider die Winkel Lehrer und den Separatismus nach den heutigen Umständen und öffentlich bekannt gemacht werden.

Moralische Beschaffenheit der Gemeine:

Bei vielen ist eine ziemlich gute Erkenntnis der Religion. Und sie brauchen gern die Hilfsmittel darinnen zu wachsen. Was den grossen Haufen anbelangt, so weiss man wie es durchgehend beschaffen ist. Andacht Bücher sind in allen Häusern. Man vermisst das neue Testament in wenig Haushaltungen. Ganze Biblen sind noch ziemlich viel. Die übrigen Andacht Bücher sind: Arndts wahres Christentum, sonderlich der Auszug aus demselbigen. Das Paradiesgärtlein, Schmolkens Gebetbuch, die Götischen Lieder und anders.

Der Wandel überhaupt ist ehrbar und sittsam, ausgenommen bey der Jugend, die ziemlich ausschweifend ist.

In Ansehen des vorzüglich guten, so sind Gottesdienstlichkeit, Gottsäligkeit, Dienstfertigkeit und Gastgebigkeit wie auch Arbeitsamkeit und Anschlägigkeit (Geschicklichkeit) hier nicht unbekannt, die Laster des Müssiggangs und der Trunkenheit werden auch wohl gefunden. Aber sind doch nicht so allgemein.

Das Böss welches am meisten herrscht, ist man: Scheinheiligkeit und Menschengefälligkeit, Lügenhaftigkeit, Betrug und das Richten des Nächsten. Die nähesten Quellen davon sind Armuth, und eine schlechte Kinderzucht, in sonderheit die seltsamen Begriffe, welche man davon hat.

Gott wolle gnädigst das Gute vermehren und das Böss vermindern in dieser meiner allerdings werthen Gemein!

Soll ich Vorschläge zur Beförderung des Besten meiner Gemein hinzutun, so wage ich folgende zwey:

1. Es haben einige aus Nachsicht eingerissene Missbräuche verschiedene articul der Chorgerichtssatzung verdrängt, wie das Überwirthen, das Kegeln an den Sonntagen, das Tanzen zu gewissen Zeiten, ohne erlaubnis des Oberamtmanns. Man würde es sehr verderben, wenn man diesen Missbräuchen wollte Einhalt thun, ohne oberkeitliches ansehen. Und doch wäre dies höchst nöthig.

2. Es wäre sehr nützlich, wenn man eine Art von Einleitung zu den bibl. Geschichten in den Schulen einführen würde, denn darin sind unsere Landkinder gemeiniglich sehr unwissend.

de Loséa
1780 Pfarrer zu Wattenwyl


Anmerkung: Die Orthografie wurde übernommen, kursiv Eingefügtes dient dem besseren Verständnis.
Hans Niederhauser
17.04.2023

Quellen und weiterführende Dokumentationen:

1 Original im Staatsarchiv des Kantons Bern. Text von Daniel Rudolf De Losea, Pfarrer in Wattenwil 1763-1781, geboren 1721, ordiniert 1747, war seit 1748 Feldprediger beim Schweizergarderegiment in Den Haag.

StaB Pfarrberichte aus dem Kapitel Bern von 1780.

Transkription von Hans Niederhauser.