Altes Dorfschulhaus Tjeerd Coehoorn, 2018.

Fred und Cécile Zimmermann - Stiftung

Kunst und Kultur im Alten Dorfschulhaus bei der Kirche in Wattenwil



Bruchstücke aus der Geschichte Wattenwils

1659    Wattenwil erhält einen Taufstein, die Einsetzung eines Pfarrers und eines Chorgerichts

Im Buch «Beiträge zur Heimatkunde des Amtes Seftigen» 1 liest sich der Vorgang zur Gründung der Kirchgemeinde Wattenwil so: «Zu Thurnen gehörte also früher die Kirchgemeinde Wattenwyl. Im Jahr 1658 wurde eine Untersuchung eingeleitet, ob nicht ‹wegen der stark um sich fressenden Teufersect› die große Pfarrgemeinde zu teilen und Wattenwyl zu einer selbständigen Pfarrei zu erheben sei. Die Untersuchung ergab die Notwendigkeit dieser Aenderung; so wurde denn im folgenden Jahr die Abtrennung vollzogen und als erster selbständiger Pfarrer zog auf: Abraham Haberreuter.»

Die «geringe Kirche» Wattenwil erhält einen Taufstein. Somit müssen die Kinder nicht mehr in die entfernte Kirche in Thurnen zur Taufe gebracht werden.

Christoph von Graffenried, Mitglied des bernischen Kleinen Rates und Venner des Landgerichtes Seftigen, bestätigt das erste Chorgericht, bestehend aus Wattenwilern.

«Das Chorgericht der Kirchgemeinde Wattenwil seit 1659» 2

 ❝ Das siebenköpfige Chorgericht (oder «die Ehrbarkeit») war, im Gegensatz zum weltlichen, ein geistliches Gericht in der Kirchgemeinde. Es wachte über die guten Sitten im Dorf, konnte Verweise erteilen, zu Geldbussen verurteilen und bis zu dreitägige Gefängnisstrafen verhängen. Eine besondere Strafe war der «Herdfall». Dabei musste sich der Verurteilte vor den Chorrichtern hinknien und um Verzeihung bitten. Einer der Chorrichter amtierte als «Heimlicher». Er war nur den Chorrichtern bekannt und sollte besonders herumhorchen und die fehlbaren Dorfleute melden. Bei der Verurteilung der Angezeigten erhielt er einen kleinen Teil der Busse als Entschädigung für seinen «Dienst» (Zitat: «Dem Heimlicher gehört seÿn theil», Chorgericht wurde jeweils nach der Sonntags-Predigt gehalten.

Fluchen, Rauchen, Tanzen, Streitigkeiten und - nach damaliger Sitte - ungebührliches Benehmen aller Art wurde geahndet. Bei Schwangerschaft einer unverheirateten Frau klärte das Chorgericht die Vaterschaft ab. War die Frau nicht vorher bereit, den Vater anzugeben, wurde sie in der «Gnisst», d.h. während der Geburtswehen, von zwei Chorrichtern verhört, in der Annahme, sie würde in dieser schweren Stunde wohl die Wahrheit sagen. Bei Gerüchten über Ehebruch wurden die Verdächtigten vorgeladen und zur Rede gestellt.

Das Chorgericht ist ein Kind der Reformation. Es ersetzt den Bischof als alleinigen geistlichen Richter und drückt also auch die Demokratisierung in der Kirche aus. («choren» hiess schon vorher: «Ehehändel vor dem Bischof austragen».) Als Chorherren wurden in der Kirchgemeinde besonders angesehene Männer gewählt.

Im Bernbiet wurde das Chorgericht am 8.März 1529 eingeführt: «Es söllend in ÿegklicher kilchhöri die underthanen zum minsten zwen frommer redlicher männer verordnen, denen uff dem land, glÿch als in der statt den eerichtern, der eebruch, huerÿ, kupplerÿ und was sonst ergerlichs fürgaht, angezeigt und angeben soll werden». Ziemlich genau 300 Jahre danach wurde dieses kirchliche Sittengericht aufgehoben.

Die Reformatoren, allen voran und mit eiserner Konsequenz Johannes Calvin in Genf, legten grossen Wert auf das sittliche Benehmen ihrer Gläubigen.

Als Gipfel der Vorschriften mögen uns heute die sogenannten «Kleidermandate» erscheinen, in denen die anständige Kleidung vorgeschrieben wurde, wie etwa die Länge der Frauenröcke, Kragenweite, Ärmellänge und Kleiderfarbe (vornehmlich schwarz natürlich!).

Der Pfarrer hatte zu jener Zeit das Schulwesen unter sich und wirkte als «Schulinspektor» in seiner Gemeinde, während aus dem Kirchengut der Unterhalt der Schulgebäude bestritten wurde.  ❞

Quellen und weiterführende Dokumentationen:

1 Wäber H. «Beiträge zur Heimatkunde des Amtes Seftigen», Kapitel Die Kirche, Seite 163ff, Zimmerwald, 1906.

2 Niederhauser Hans, in seiner gleichnamigen Schrift zum Wattenwiler Chorgericht, 2023, mit vielen transkribierten Gerichtsfällen als Wattenwiler-Sittenbild aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, wie
- Schulversäumnisse und unerwünschtes Betragen
- auf Spuren der Söldnerei
- ungeziemendes Verhalten und Streit
- Vaterschaftshändel usw.
Die Transkription kann in der Wattenwilica eingesehen werden.

Studer Robert, «300 Jahre Kirche Wattenwil 1683-1983», 1983.