Altes Dorfschulhaus Tjeerd Coehoorn, 2018.

Fred und Cécile Zimmermann - Stiftung

Kunst und Kultur im Alten Dorfschulhaus bei der Kirche in Wattenwil



Bruchstücke aus der Geschichte Wattenwils

1764    Pfarrbericht

Kirchgemeinde Wattenwil

Der Pfarrbericht von 1764

Beantwortung der von der Regierung vorgegebenen Fragen durch Pfarrer Daniel Rudolf de Loséa, Pfarrer in Wattenwil von 1763 bis 1781, früher Feldprediger beim Schweizergarderegiment in Den Haag.

Original im Staatsarchiv Bern, Transkription Hans Niederhauser.


❝  Ist die Anzahl der Armen gross?

Wenn durch die Armen nur diejenigen verstanden werden, welche entweder gänzlich von Almosen leben, oder sie eine Handreichung geniessen, so ist sie freylich gross, doch aber ist sie um ein merkliches vermindert worden seit der Zeit, dass einer jeglichen Haushaltung, die entweder nur eine Kuh oder gar keine zu wintern vermag, eine Jucharten Allmentheerd, wenn sie aber zwey Kühe zu wintern vermag eine halbe Jucharten zur Nutzung gegeben wird. Die meisten Armen gegenwärtig sind Hinterlassene von Burgeren, deren Voreltern sich entweder in dem pays de vaux oder in der Grafschaft Neuenburg und anderswo haushältlich gesetzt haben. Es giebt auch viele Uneheliche.

Fehlt es ihnen an Lust oder Gelegenheit zur Arbeit?

An Gelegenheit zur Arbeit kann es hier wirklich niemand fehlen, weil die Allment Theyle viel Arbeit erfordern und das Land … seit einigen Jahren um Vieles verbessert wird. In Ansehen der Lust wird es sich verhalten wie an andern Orten.

Welche Handreichung wird ihnen von der Gemeine, von der Obrigkeit geboten?

Die Gemeine hat ein geringes Armengut, welches aber kann vermehret werden, durch die fünf Kronen, welche ein jeglicher, der eine Aussburgerin heirathet bezahlen muss. Die Armen werden hier unterhalten eines Theyls von dem Armengut, anderes Theyls aber von einer freywilligen Tellung, (Steuer) des Jahrs ein oder zwey Mahl. Eine hohe Obrigkeit hat vor Zeyten etwas gesteuert, man hat auch Beyspiele von Armen und Elenden, die in die oberkeitlichen Armenhäuser sind aufgenommen worden, oder die sonsten einige Handreichung von der Allmosen Cammer empfangen haben.

Anstalten zur Aufferziehung der Kinder und Unterweisung zur Arbeit:

Nebst den Schulen, deren zwey in einem schönen Schulhaus sind, weiss ich keine andere Anweisung, als dass die armen Kinder so viel möglich bey braven Leuten vertischgeldet werden. Das Gehen im Kehr wird für arme Kinder vermieden, als eine Sache, die iher Aufziehung hinderlich ist.

Mit welcher Arbeit könnten die Armen an dem Orte selbst beschäftigt werden?

Die Armen werden am Besten mit dem Landbau und mit der Küherey auf den Bergen beschäftigt. Nebst dem Wollen- Baumwollen- und Seidenspinnen, womit sich viele nähren, wüsste ich keine nützliche und gelegene Beschäftigung für die Armen. Ich könnte also zur Beantwortung der Frage keine dringlichen und ratsameren Massregeln angeben. Denn der Landbau muss am stärksten befördert werden. Die Art des Landes und eine wohlverstandene Bevölkerung bringen es so mit sich. (Deutung des letzten Satzes durch Christian Lerch, Staatsarchivar: Das Land wäre fruchtbar, wenn die Bevölkerung gebildet würde, könnte es bessern.)

Wie werden die ganz elenden Leute und die dürftigen Greyse verpflegt?

Sie werden verpflegt durch eine genügsame und hinlängliche Handreichung entweder aus dem Armengut, oder aus der Dorfspend, oder aus einer besonderen Tellung.

Sitten der Einwohner, Mässigkeit und gute Haushaltung?

Dass die hiesigen Einwohner gerade dem Trunke ergeben seyen, kann ich nicht sagen. Dennoch ist der Verbrauch des Weins sehr gross in dem Wirthshause. Ohngefähr 20 Fass … Wein jährlich ausgeschenkt, machen einen beträchtlichern articul aus. Auch gibt es Exempel von ausgeübten Üppigkeiten genug. Es gibt auch eine gewisse Eitelkeit und Hoffarth bei den Leuten, die nicht allerorten so sehr in die Augen fällt. Daher werden die Anlässe zu öffentlichen Ergötzungen nicht leicht versäumt.

Wenn die Haushaltung der reifen Landesgesetze dem überhaupt nicht gesteuert würde in diesem Stück, so gäbe es ohne Zweifel viele schlechte Haushalter, welche die noch ziemlich grosse Anzahl der Guten bald übertreffen würde. Denn ein leichtsinniges, ausgelassenes und üppiges Wesen ist die schlimmste Plage eines Landes. Weil der Geschmack an demselbigen die Kraft der Religion und die natürlichen Grundtriebe der Tugend und Menschenliebe mehr unterdrückt als irgend etwas anderes. Ja gar mehr als gewisse sonst schädliche Laster.

Befleissen sie sich des Landbaus mit Kenntnis und Verstand?

Der hiesige wohl bewachsene und angepflanzte auch an allerhand Lebensmitteln fruchtbare Bezirk dienet zur Beantwortung dieser Frage.

Zeigen sie Neigung und Gaben zu einem anderen Verdienst?

Dass die Neigung und Gaben zu allerhand Verdiensten den hiesigen Eingebohrenen keines weges fehlen, erhellet zur Genüge daraus, dass vielleicht an keinem Orte das in Etwas Wattenwil ähnlich siehet, so viele Handwerksleute von allerhand professionen gefunden werden.

Wie ist überhaupt in dem Bezirk der Gemeinde das Verhältnis des Gebauten Landes zu den Ungebauten, absonderlich zu den Allmenten?

Wenn unter der Allment auch die Waldungen begriffen werden, so ist es gläublich, dieselbige übertreffe an Grösse den ganzen Bezirk des Eigentümlich besessenen Landes, nehmlich in der Gericht March Wattenwil.

Wie viele Jucharten aber das eine und andere ausmachen, kann ich unmöglich bestimmen. Doch will ich nicht unangemerkt lassen, dass über die hundert und fünfzig Jucharten, die wirklich als armentheyle angebaut sind, keine zweyhundert Jucharten übrig bleiben, die mit Recht gutem Nutzen könnten angebaut werden, vornehmlich, wenn man eine allgemeine Kühweid und Offen Weid den Sommer durch behalten wollte, welche von jedermann zum allgemeinen Nutzen, sonderlich der armen, für nothwendig gehalten wird.

Eines von den gesegnetsten Mitteln, einer volkreichen Gemeinde und vornehmlich armen und mittelmässig bemittelten, einen guten Unterhalt zu verschaffen, ist der zur Prob vergangenen Sommer angefangenen Gebrauch, die sogenannte Brachzelg ein jegliches drittes Jahrs anstatt ruhen zu lassen, mit Erdapfeln und allerhand Musskorn (Korn für «Mus» = Brei). Ein jeglicher Eigenthümer hat von seinem auf der Zelg liegenden Heerd so vielen armen eine halbe Juchart einem jeden anzupflanzen gestattet, als er über eine halbe Jucharten für sich selbst missen konnte. Die Armen nehmen es auf ihr Ehr, und zu ihrem eigenen Nutzen, den Heerd wohl zu bauen, und den Mist keines weges zu sparen; und die Besitzer der acheren haben dafon, dass sie ihr Land anstatt dreimahl, nur einmahl acherieren durften, und noch etwas Mist ersparen konnten. Diese Anbauung und anpflanzung der heurigen Brachzelg ist mit einer solchen Nacheiferung verrichtet worden, dass der Nutzen davon für reicher gehalten wird als derjenige, welchen die letzte Kornzelg gebracht hat.

Sollte es die Erfahrung bestätigen, dass auf diesem Weg der Grund und Boden nicht von seiner Fähigkeit gutes Korn hervorzubringen, verlieren würde, so wäre ein herrlich Mittel ausgefunden, in dem ganzen Lande dem Landvolk einen besseren Unterhalt zu verschaffen, und die öffentlichen Einkünfte zu vermehren. Es wäre zu wünschen, dieses Unterhaltungs Mittel würde sonderlich an denjenigen Orth bybehalten werden, wo öftere Hagel Wetter manchmal die ganze Erndte zernichtet und die schönste Hoffnung danider schlägt.

Da der Mangel an Holz sich hier durchgehend offenbahrt, und derselbige in mancherley Absichten dem Landmann nachtheilig und an vielen nützlichen Dingen hinderlich ist, so ist hier die Frage aufgeworfen worden, ob diesem Mangel nicht könnte einigermassen abgeholfen werden durch aufrichten der Ziegelhütten. Die Arth, die Häuser hier zu decken erlaubt gar wohl ein Ziegeldach, dasselbige würde weder zu schwehr noch zu kostbar seyn, wenn die Ziegel Verfertigung durch gewisse Anstalten (Massnahmen) erleichtert und wohl feiler gemacht würde. Auf diese Weise würde erstaunlich viel Holz, und zwar von dem besten, erspart werden. Weil das allerbeste zu den hiesigen Dachschindeln erfordert wird. Die Dächer würden auch viel länger währen.

Doch will ich nicht verschweigen, dass der viele Schnee etwas an ihrer Dauer vermindern könnte, auch könnte ein schwerer Hagel etwas schaden.

Zur bekräftigung der zehenten Frag, hier noch eine Verzeichnuss der Handwerks Leuten, die in dieser Gemeinde gefunden werden, und die mier ist mitgetheylt worden:

 Zimmermeister, Gesellen und Lehrjungen29 
 Tischmacher
 Wagner
 Drechsler
 Steinhauer und Maurer12 
 Schneider
 Gerber
 Schmieden
 Schuster12 
 Küefer16 
 Glaser
 Sattler
 Seiler
 Uhrenmacher

Ich habe mich noch zu entschuldigen, dass ich nach erforderung der neunten Seite in der Zahl der Bürger die ausser der Gemeinde sich befindenden Burger nicht habe begreifen (herausfinden) können. Eines Theyls, weil die Zeit darzu ziemlich kurz war, andern Theyls, weil sich sehr viele in dem pays de vaux oder anderswo befinden, die niemanden bekannt sind, derjenigen aber, die man mir hätte angeben können sind sehr wenige.

Dan. Rod. De Loséa
Pfarrer zu Wattenwyl
den 10 ten Nbr. 1764  ❞


Anhang, dem Pfarrbericht von 1764 beigelegt
Gemeinde Wattenwil
 Feuerstätten243 
 Würkliche Ehen209 
 Männer bis 16 J.191 
 Männer 16-60232 
 Männer 60 +63 
 Männer Witwer17 
 Total503 
 Weiber bis 14 J.177 
 Weiber 14-50227 
 Weiber 50 +93 
 Weiber Wwen38 
 Total535 
 Total Einwohner: 1 038 
 Burger963 
 Hintersassen15 
 Heimatlose
 Armuth:
 Kinder armer Eltern83 
 Waisen
 Elende mittl. Alters12 
 Alte18 
 Total Arme144 
 Bevölkerungszunahme 1753 – 63:171 Seelen 

Anmerkung: Die Orthografie wurde übernommen, kursiv Eingefügtes dient dem besseren Verständnis.
Hans Niederhauser

17.04.2023

Quellen und weiterführende Dokumentationen:

1 Original im Staatsarchiv des Kantons Bern. Text von Daniel Rudolf De Losea, Pfarrer in Wattenwil 1763-1781, geboren 1721, ordiniert 1747, war seit 1748 Feldprediger beim Schweizergarderegiment in Den Haag.

StaB Pfarrberichte mit Bevölkerungstabellen 1764.

Transkription: Hans Niederhauser.