Altes Dorfschulhaus Tjeerd Coehoorn, 2018.

Fred und Cécile Zimmermann - Stiftung

Kunst und Kultur im Alten Dorfschulhaus bei der Kirche in Wattenwil



Bruchstücke aus der Geschichte Wattenwils

1925    Landwirtschaftliches aus Wattenwil

Bei der Kirchenrenovation wird im Knauf des Kirchturms der von Tierarzt Paul A. Steiger verfasste Bericht hinterlegt:

❝  In Wattenwil leben heute ca. 2 100 Einwohner, die meisten treiben Landwirtschaft. Es sind 245 Viehbesitzer mit ca. 1 100 Stück Vieh, Schafe sind wenige mehr, Ziegen und Schweine noch zl. viel. Von landwirtschaftlichen Organisationen bestehen:
Käsereigenossenschaft Grundbach, Käser Haldimann Jak.
Käsereigenossenschaft Mettlen, Käser Aellig.
Käsereigenossenschaft Dorf, Käser Ryser Ernst.
Viehzuchtgenossenschaft Wattenwil, beste Züchter sind F. Krebs im Grebi, Rob. Röthenmund im Dorf, Gebr. Krebs, unt. Wydimatt, Fr. Bähler, Heimenried. Es besteht seit 1904 auch eine Viehversicherung mit staatl. Subventionen von Fr. 1.50 per Stück Vieh; die Prämie variert von 4.50-6 Fr. per Stück; bei schwerer Erkrankung werden Tiere geschätzt und bei Schlachtung 80 % des Schatzungswertes ausbezahlt; es ist eine gute Institution für den Kleinbauer; im Kt. Bern sind über 300 Viehversicherungen.

Im Jahr 1920 war ein grosser Seuchenzug in den Kantonen Bern, Freiburg & Luzern. Enorme Viehbestände wurden notgeschlachtet, auch in Wattenwil waren 30 Ställe verseucht, das Vieh war damals sehr teuer. Kühe galten bis 3 000 Franken, überhaupt war alles Vieh, besonders auch die Schweine teuer; Ferkel galten bis Fr. 300 das Paar, 1 kg Lebendgewicht bis 8 Fr., 1 Pf. Schweinefleisch in der Schaal 6 Fr.

Gegen Maul- und Klauenseuche wurde mit Serum oder mit Blut geimpft. Blut von durchseuchten Tieren wurde den erkrankten oder den gefährdeten Tieren subkulan eingespritzt, bis 6 dl p. Stk; diese Impfung war gut, wenn sie frühzeitig gemacht wurde. Schon seit vielen Jahren impft man Schweine zum Schutz gegen Rotlauf, Schweineseuche, Schweinepest. Hier hat man wenig von diesen Seuchen zu fürchten. Die Landwirtschaft wird hier recht intensiv betrieben; es wird viel Kunstdünger verbraucht; auch Stroh wird viel aus Frankreich eingeführt. Der Bauernstand hat sich in den letzten 30 Jahren gut entwickelt; besonders in den Kriegsjahren und nachher, als alle Feldfrüchte teuer waren, die Milch kostete im Durchschnitt 30 Rp. per 1 lt, 1 Kg Brot 60 Rp.

In der Gemeinde leben auch viele rechtschaffene Handwerker, von denen die Leute alles zum Leben notwenige haben können. Seit Jahrzehnten wohnen hier Aerzte, z. Zt. ein Dr. Meyer. Seit 1900 ist auch ein Tierarzt beständig im Dorf; der erste war Walter Kiener, jetzt in Plaffeien, seit 1903 wohnt und praktiziert Dr. Steiger als Tierarzt an der Bernstrasse. Arzt und Tierarzt sind nötig bei den vielen Leuten und Haustieren. Nebst den Bauern und Gewerbetreibenden hat es auch viele Arbeiter und Arbeiterinnen mit dem Zug nach Thun in die Werkstätten, wo sie schönen Lohn verdienen, wer Arbeiten will, hat Verdienst und wer spart, kommt zu etwas.

Wattenwil hat sich seit der Gürbekorrektion enorm entwickelt und erweitert, das Land ist besser geworden; bis auf die Allmend hinauf wird geheuet. Einige Bauern besitzen eigene Alpweiden, andere gehen als Hirten auf die Berge, gewiss mehr als 1 Dutzend.

Auf der Stafelalp ist in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts ein Hotel entstanden. An herrlicher Aussicht, es hat viel Besitzer gewechselt; die Zufahrt ist schwer, doch ist als Notstandsarbeit nach dem Krieg der Giebelweg bis in den Hof gebaut worden, weil nach dem Krieg wenig Arbeit war, der Export fehlte, schlechte Valuta.

Der Nachwelt zur Kenntnis.
Im Juli 1925.

Der Tierarzt: Dr. Steiger.  ❞

Quelle und weiterführende Dokumentation:

«Bilder aus der Geschichte von Wattenwil im Knopf des Kirchturms deponiert». Text verfasst von Paul A. Steiger, Tierarzt in Wattenwil, 1925.